Dschungelküche der Māori

Die MÄori nennen Neuseeland Aotearoa. Das Land der langen weißen Wolke. Sattgrüne Hügel, fauchende Geysire, schneebedeckte Vulkane und tiefblaue Fjorde. Eine ganz besondere Ehre, in diesem Paradies von einem der besten Chefs des Landes in die Geheimisse der MÄori-Kochkunst eingeweiht zu werden. Es wird eine Reise ins wilde Herz Neuseelands, in den Urwald und Dschungel der Südinsel. An die Frischetheke und mitten hinein in die Gourmet-Abteilung der MÄori.

Manchmal muss man einfach abtauchen, um Atem zu holen. Ich bin an einem Ort der völligen Stille, ohne Handy, ohne Laptop, ohne Batterien, ohne Strom. Ein Ort, an dem nur das pochende Blut in den Adern Geräusche macht. An diesem Ort an der Westküste der Südinsel Neuseelands schleiche ich so lange durch den Busch, bis ich meine Unruhe wie eine Schlangenhaut zwischen den Farnen auf dem dunklen Waldboden abstreifen kann. Ich lege mein Wanderbündel auf die warme Erde und bette mich auf das satte Grün zwischen die flechtenbewachsenen Tuatara-Bäume, schaue verträumt den Luftwurzlern zu. Mein Blick vermag kaum durch dieses chaotische feuchtgrüne Gewickel und Gewirre zu dringen, bleibt immer an einer der Schlingpflanzen hängen oder an einer wie vom Sturm in die Luft gepeitschten Girlande.

Dichter Urwald auf Neuseelands Südinsel. Die uralten Farnbäume, der moosbedeckte Waldboden und die Kauribäume gehen auf eine Zeit zurück, in der Neuseeland noch zum Urkontinent Gondwana gehörte.

Es gibt viele gute Wohlfühlgründe, um ans andere Ende der Welt zu reisen. Neuseeland ist ein Land, in dem es für manche Kinder völlig normal ist, mit einer Horde wilder Delfine im Wasser zu spielen oder in der Schule zwischen Kursen wie Bungee-Jumping, Unterwasserpolo und Drachenbootrennen wählen zu können. Meine Leidenschaft ist weniger der Adrenalinsport als vielmehr der Dschungel, und den gibt es auch auf der Nordinsel, in der Nähe der MÄori-Stadt Rotorua. Ich wandere mit Charles Pipi Tukukino Royal, einem philosophierenden MÄori und renommierten Koch, durch den immergrünen Regenwald, den die Einheimischen einfach Busch nennen.

Gewürzabteilung des Dschungels

„In Neuseeland findet gerade eine Revolution in den Köpfen unserer Köche statt“, erklärt Charles Royal. „Zu lange war unsere Küche ein Vasall des britischen Königreichs und fokussierte sich ausschließlich auf die englische Kochkunst. Ein traditionelles Frühstück aus Speck, Bohnen, gebratener Blutwurst, in Fett gebratenem Toastbrot und Würstchen, das einst für englische Bergarbeiter konzipiert wurde, passt einfach nicht ins moderne Neuseeland.“

Die Pflanzen, die mir Royal bei unserem ersten Gang durch den Busch präsentiert, sind mir größtenteils unbekannt. Einzig der sattgrüne, spiralförmige junge Farn namens Pikopiko ist mir ein Begriff. Dieser Trieb des Silberfarns, der als Koru bekannt ist, dient als nationales Symbol Neuseelands und verkörpert Neuanfang und Wachstum. Heute findet man die knackigen Farnsprossen auch in den feinsten Gourmet-Salaten des Landes, etwa im Restaurant Logan Brown in Wellington, wo sie als delikate Beilage zu Wildschwein oder Langusten serviert werden.

Royal führt mich an den Rand einer Lichtung, die er als die Gewürzabteilung des Dschungels bezeichnet. Behutsam pflückt er einige jadegrüne Farnspitzen, ein wenig Kawakawa, ein wildes Busch-Basilikum und einige glänzende, mit roten Punkten übersäte Horopito-Blätter, die in Neuseeland auch als Pepperwood bekannt sind.

MÄori-Koch Charles Royal zaubert in seinem Studio in Rotorua einen Farntrieb-Salat mit frischen Zutaten aus dem Urwald. ©Cinzia Jonathan

Was die frischen Dschungel-Zutaten betrifft, ist es wenig sinnvoll, sich mit all den deutschen Bezeichnungen der MÄori-Begriffe auseinanderzusetzen. Wer sich kulinarisch in der MÄori-Küche wohlfühlen möchte, könnte bei Namen wie Gänsedistel und Schweineohrpilz nur unnötig ins Grübeln geraten.

Zurück in seiner Küche in Rotorua zaubert Royal aus diesen frischen Zutaten, zu denen auch Pirita, Liliengewächse mit spargelähnlichen Trieben, neuseeländische Rauken und andere wilde Kräuter gehören, eine smaragdgrün schimmernde Köstlichkeit. Zum Abschluss ergießt sich über den Dschungel-Tellern ein feiner Sprühregen aus Balsamico, dazu etwas geraspelter Parmesan, gefolgt von einem Hauch Felsensalz und karamellisiertem Jungfarn. Die satten, erdigen Aromen entfalten im Mund eine unglaubliche Dichte, die mich andächtig durch diesen Miniatur-Regenwald schmecken lässt.

Der Ofen der Menschenfresser

Die Küche der MÄori war jedoch nicht immer so friedlich und pflanzenbasiert wie die heutige von Charles Royal. In den Logbüchern der ersten europäischen Entdecker Neuseelands, Abel Tasman und James Cook, ist ein Ritual beschrieben, das die MÄori bis etwa 1820 ausübten: Der Verzehr des Muskelfleisches besiegter Feinde, um sich deren Mana — ihre Kraft und Stärke — einzuverleiben. Diese Praxis hielt sich bis ins frühe 19. Jahrhundert und trug wesentlich zum Ruf der MÄori als Menschenfresser bei. Ihre traditionelle Zubereitungsmethode, die als HÄngÄ« bekannt ist, überdauerte diese dunklen Zeiten und wird bis heute bei Festen und besonderen Anlässen genutzt, wenn Lamm, Hühnerfleisch und Fisch in einem handgegrabenen Erdofen gegart wird.

Der deutsche Forscher Julius von Haast war um 1850 so fasziniert von der HÄngÄ«-Methode, dass er versuchte, sie nach Wien zu bringen, um sie im Wurstelprater werbewirksam als à la cannibale auf die Speisekarten setzen zu lassen.

Noch heute umweht ein HÄngÄ«-Essen der Hauch des Abenteuerlichen. Der Gourmet und Hobbyfischer Lawrence Wharerau beispielsweise hat eine Methode entwickelt, um sein Erdloch-Essen, wie er es nennt, mit der Seele des Meeres zu würzen. Er heizt ein Erdloch mit Hartholz an und speichert dann die Hitze mit Lavasteinen. Früher, so erzählt er, wurden die besten Steine für ein HÄngÄ« sogar innerhalb der Familien weitervererbt.

In geflochtenen Körben, die mit Kohlblättern ausgelegt sind, schichtet Wharerau Lammfleisch aus Hokitika, Karotten, Kumara (Süßkartoffeln) und Pastinaken übereinander. Die oberste Lage bilden Kürbis, wilder Rosmarin und Wasserkresse, die abschließend mit gewässerten Baumwolltüchern bedeckt werden. Die Dampfgarung kann sich über Stunden hinziehen und kurz vor Ende schiebt Wharerau dann Green Lipped Mussels unter die Tücher. Die Hitze öffnet die Muscheln, die somit ihren köstlichen Duft des Meeres als Würze über das darunter geschichtete Essen verströmen.

Der perfekte Spitzkegel des schneebedeckten Mount Taranaki im Westen der Nordinsel. Ein geologisch
recht junger Vulkan mit gerade einmal 135.000 Jahren auf dem Bergbuckel.

Ein traditionelles Rezept finden Sie hier.

Text: Joscha Remus

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