Die beschauliche Halbinsel Höri liegt am Bodensee — zwischen Radolfzell und dem schweizerischen Stein am Rhein. Während des letzten Jahrhunderts bezauberte sie zahlreiche Künstler. Der Maler Otto Dix war einer von ihnen und blieb über dreißig Jahre lang — bis zu seinem Tod vor 55 Jahren.
Die Villa der Familie Dix liegt hoch über dem Untersee, dem kleineren Teil des Bodensees, umgeben von üppigem Grün. Von den Fenstern mit den weißen Sprossen blickt man bis zum gegenüberliegenden Steckborn am schweizerischen Ufer. Während der Sommermonate dümpeln Motor- und Segelboote vor dem kleinen Badeplatz, der unterhalb des Hauses liegt. Die Vögel zwitschern in den Bäumen, die tief verwurzelt dem Starkwind trotzen, der ab und zu über den See fegt. Die bunten Blumen sind die ersten Anzeichen des Sommers im Garten, der immer noch ganz ähnlich bepflanzt ist wie zu Zeiten der Familie Dix. Seit 2013 gehört das ehemalige Wohnhaus der Künstlerfamilie zum Kunstmuseum Stuttgart, das eine der weltweit bedeutendsten Dix-Sammlungen besitzt. Bei der Restaurierung wurde der Charakter der Räume erhalten, in denen Otto Dix mit seiner Frau Martha und den drei Kindern lebte. Im Musikzimmer im Erdgeschoss wartet der schwarze Flügel nur darauf, bespielt zu werden. Ess- und Wohnzimmer laden zum Verweilen ein — dank des Mediaguides tauchen Besucherinnen und Besucher in das Familienleben ein und lauschen beim Rundgang ihren Geschichten.

Die Villa der Familie Dix ließ Martha bauen – dank einer Erbschaft.
Eine hölzerne Treppe führt in den ersten Stock, vorbei an Anita Berber. Das bekannte Bildnis der Tänzerin ist kein Original, denn das hängt im Kunstmuseum der Landeshauptstadt. Die Frau in Rot mit den eingefallenen Wangen wirkt ausgezehrt und unter dem Kleid zeichnet sich ihr magerer Körper ab. Dennoch zieht ihr Porträt die Blicke der Vorübergehenden auf sich. Die Reproduktionen der Originale, die einst die Wände des ganzen Hauses zierten, sollen als solche erkennbar sein. Damit die zeitliche Distanz zur Gegenwart deutlich wird, wirken die Bilder so, als hätten sie mit den Jahren einen farblosen Abdruck an der Wand hinterlassen. Auch das Atelier von Otto Dix, einem der bekanntesten Maler des 20. Jahrhunderts und wichtiger Protagonist der Neuen Sachlichkeit, erweckt mit den Malutensilien und der Staffelei den Eindruck einer kurzen Schaffenspause. Als käme der Hausherr demnächst von einem Spaziergang durchs „Paradies“ zurück. Als „ein schönes Paradies, zum Kotzen schön“, bezeichnete Dix die Höri, wenn er wieder einmal die Großstadt und sein Berliner Leben vermisste, das er 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten für immer verließ.

Bei den Führungen in der Kirche in Kattenhorn geht es um die biblischen Motive der Fenster.
Versteckte Wandmalereien
Neben dem Atelier befindet sich der Salon von Martha und im Stock darüber die Kinderzimmer von Nelly, Ursus und Jan. Bei den öffentlichen Führungen geht es auch in den Keller. Hier bemalten Dix und einige seiner Gäste wohl bei einem Fastnachtsfest die Wände. Die Figuren der alemannischen Fastnacht wirken so lebendig wie vor fast sechzig Jahren. Daneben sind Karikaturen von Freunden oder berühmten Persönlichkeiten zu sehen. Die Wandmalereien waren lange Zeit unbekannt, gut versteckt hinter Kellerregalen. Bei den Restaurierungsmaßnahmen wurden sie dann wiederentdeckt. Die Szenen zeugen von rauschenden Festen, die hier im Haus stattgefunden haben sollen — Dix‘ Versuche, etwas Großstadtflair auf die Höri zu bringen. Sein Atelier in Dresden gab der in Gera geborene Künstler deswegen wohl niemals auf.

Vom Esszimmer blickt man über den See und bis zum Schweizer Ufer.

Die Kinder durften ihrem Vater im Atelier Gesellschaft leisten.
Nicht nur Otto Dix flüchtete vor den Nationalsozialisten auf die idyllische Halbinsel nahe der Schweiz. Der Maler Max Ackermann verbrachte die Kriegsjahre in Hornstaad, nachdem er in Stuttgart seinen Lehrauftrag verloren hatte. Der Brückemaler Erich Heckel kam 1944 auf die Höri und blieb wie Dix bis zu seinem Tod. Die Gräber der beiden befinden sich auf dem Friedhof in Hemmenhofen. Auch Hermann Hesse, Ludwig Finckh und Helmuth Macke lebten auf der Höri. Das Hesse Museum und der Garten des Mia-und-Hermann-Hesse-Haus im benachbarten Gaienhofen, Richtung Radolfzell, können ebenfalls besichtigt werden. In Wangen, Richtung Schweizer Grenze, entführt das Archäologische Museum in die Kulturen des fünften bis ersten Jahrtausends vor Christus. Die Pfahlbauten, die hier gut verborgen im Wasser schlummern, gehören zu den ältesten am Bodensee und sind Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Knapp fünf Kilometer entfernt, weiter am Seeufer entlang, liegt Kattenhorn. Über dem mediterran anmutenden Ort liegt die evangelische Petruskirche, für die Otto Dix gleich mehrere Fenster mit biblischen Szenen gestaltet hat. Ihre Ausdruckskraft und Lebendigkeit ändern sich mit dem Einfall der Sonnenstrahlen. Kurz vor der Schweizer Grenze geht der See in den Rhein über. Auf einer kleinen Insel befindet sich hier das Kloster Werd, das durch einen hölzernen Steg mit dem Land verbunden ist — fernab vom Alltag. Die Mittelalterstadt Stein am Rhein gehört bereits zur Schweiz und ist bekannt für ihre prächtigen Fassadenmalereien an den Fachwerkhäusern. Die moralisierenden Szenen sind die frühesten erhaltenen Fassadenmalereien der Renaissance in der Schweiz. Wer seinen Blick hebt, schaut auf die Burgruine Hohenklingen, die 594 m hoch auf dem Schiener Berg thront. Der Bergrücken erstreckt sich über die ganze Höri. Gut vorstellbar, dass Otto Dix all diese Orte besucht hat — welcher wohl sein Lieblingsort am See gewesen ist?

Der Schriftsteller und Nobelpreisträger Hermann Hesse verbrachte acht Jahre in Gaienhofen.
Ein traditionelles Rezept finden Sie hier.
Text & Fotos: Annette Frühauf