Brautradition zwischen Genuss und Wannenbad

In Pilsen lässt sich nicht nur alles Wissenswerte über die Herstellung des berühmten Bieres aus der einstigen böhmischen Königsstadt erfahren, sondern sogar entspannt im Gerstensaft baden und bierselig in die Unterwelt abtauchen.

Pastellfarbene Häuser mit prachtvollen Giebeln dominieren das Straßenbild in der Innenstadt von Plzeň, wie Pilsen auf Tschechisch heißt. Eigentlich müsste man wie ein Hans-guck-in-die-Luft durch die kopfsteingepflasterte Altstadt flanieren, um nicht die vielen liebevollen Details an den Häuserfassaden zu übersehen. Überall gibt es kleine Verzierungen, hübsche Statuen und Mosaike zu bestaunen. Insbesondere rund um den Platz der Republik, den NámÄ›stí Republiky. Auf dem 139 mal 193 Meter großen Marktplatz erhebt sich die St.-Bartholomäus-Kathedrale, die sich rühmen darf, über den mit 102,6 Metern höchsten Kirchturm in Tschechien zu verfügen. Gesäumt wird der Vorzeigeplatz in Europas Kulturhauptstadt des Jahres 2015 vom Rathaus von 1559, dem historischen Kaiserhaus sowie der vergoldeten Pestsäule von 1681.

Bürgerhäuser mit Braurecht

Kaum jemand ahnt, dass sich unter dem zentralen Platz ein riesiges unterirdisches Labyrinth befindet. Das stark verzweigte Ganggewirr misst eine Länge von nicht weniger als 13 Kilometern und ist eng verknüpft mit der Pilsener Biertradition. Zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert ließen die wohlhabenderen Bürger der Stadt zahllose Keller anlegen, um in Zeiten, in denen Kühlschränke noch lange nicht erfunden waren, Lebensmittel einlagern zu können. Dazu wurden Teile der Räume in den Wintermonaten mit Eisschollen, die aus den umliegenden Flüssen Mies, Radbusa, Ýšhlava und Ýšslava gebrochen wurden, aufgefüllt.

Das eigentliche Kellerlabyrinth, dessen Eingang sich direkt am Brauereimuseum in der Altstadt befindet, entstand erst unter dem sozialistischen Regime im 20. Jahrhundert. Damals wurde die Idee geboren, die einzelnen Keller miteinander zu verbinden, um den Verkehr aus der Stadt zu halten und die heute viertgrößte Metropole des Landes quasi von unten zu versorgen. Doch dies blieb graue Theorie, obschon die in Teilen gerade einmal 1,80 Meter hohen Gänge mühevoll angelegt wurden.

Steigbügelhalter aus Bayern

Aber zurück zum Bier: Bereits im Jahre 1296 verlieh der böhmische König rund 260 Bürgerhäusern in Pilsen das Braurecht. Das Privileg gestattete dem Hausherrn, eigenes Bier zu brauen. Obschon die Qualität der zumeist obergärigen Biere nur selten für positive Geschmackserlebnisse sorgte, spielten die acht bis zehn Grad Celsius warmen Kellerräume mit ihrer bis zu 95-prozentigen Luftfeuchtigkeit eine wichtige Rolle, um das Gesöff haltbarer zu machen.

Doch gerade die mittelalterliche Braukunst verdiente in der heutigen böhmischen Biermetropole ihren Namen absolut nicht. Jeder braute, wie er wollte. Sogar Fäkalien von Hunden und Knochen von Gefangenen wurden verwendet, um mit dem Trunk vermeintlich magische Kräfte zu entfachen. Entsprechend hielt sich die Begeisterung bei den Abnehmern in Grenzen. Das Ganze gipfelte schließlich 1838 in einer Protestaktion. Rund drei Dutzend Bierfässer wurden vor dem Rathaus ausgeschüttet. Ein symbolischer Akt, der in der heutigen 175.000-Seelen-Gemeinde zu einem Umdenken führte.

Im Jahre 1839 wurde schließlich das Bürgerliche Brauhaus, das Plzeňský Prazdroj, aus der Taufe gehoben, mit dem Ziel, ein schmackhaftes wie genießbares Bier zu brauen. Allein, es fehlte den Pilsenern an der notwendigen Expertise. Und so machten sie aus der Not eine Tugend und nahmen den bayerischen Braumeister Josef Groll unter Vertrag. Am 5. Oktober 1842 setzte er den ersten Sud des untergärigen Lagerbiers an. Mit seiner Rezeptur aus weichem Wasser, hellem Malz und dem markant bitteren Hopfen aus Žatec (Saaz) schuf der Braumeister aus Vilshofen ein Bier, das sich von den bisherigen Sorten wohltuend unterschied und fortan seinen Siegeszug rund um die Welt antrat.

Ein Schluck aus dem Eichenfass

Korrekterweise trug das helle Bier ursprünglich den Beinamen „nach bayerischer Brauart“. Erster später wurde dieser Begriff durch die Bezeichnung „nach Pilsener Brauart“ abgeändert. Zu diesem Zeitpunkt war Groll schon lange nicht mehr in Amt und Würden. Denn nachdem, wie böse Zungen behaupteten, „der Mohr seine Schuldigkeit getan hatte“, wurde der Vertrag mit dem Braumeister bereits Ende April 1845 aufgehoben. Groll ging — vermutlich im Groll, seine Rezeptur wurde behalten und ist bis heute unverändert. Längst avancierte Pilsener Urquell mit einem Ausstoß von elf Millionen Hektolitern pro Jahr zur mit Abstand größten Brauerei in Tschechien.

Als einer der wichtigsten Besuchermagneten des Landes kann die Brauerei am Rande der Pilsener Altstadt im Rahmen von geführten Touren besichtigt werden. Dabei wird nicht nur ein Blick in die Sudhäuser mit ihren beeindruckenden Kupferkesseln gewährt, sondern auch in die Abfüllanlage, wo 120.000 Flaschen pro Stunde vom Fließband laufen. Wie die Stadt selbst verfügt auch die Brauerei über ein neun Kilometer langes, unterirdisches Gangsystem, das in Teilen bis heute als Lagerstätte genutzt wird. Hier dürfen Gerstensaftliebhaber als abschließenden Höhepunkt der kurzweiligen Tour das unpasteurisierte Pilsener Urquell direkt aus dem Eichenfass probieren.

Entspannt im Bier baden

Noch mehr Biergenuss wartet im wahrsten Sinne des Wortes beim Bierbad in der Purkmistr Brauerei im Stadtteil ÄŒernice. Hier können Wellnessjünger und Bierliebhaber in einer mit dem hauseigenen Biersud und einigen geheimen Zutaten gefüllten Lärchenwanne Platz nehmen. Bei wohlig warmen 35 bis 37 Grad Celsius soll das Bierbad vitalisierend wirken, die Haut regenerieren und den Stoffwechsel anregen. Ergänzend zur äußerlichen „Anwendung“ kommt auch das innere Wohlbefinden nicht zu kurz. Denn neben jeder Wanne steht ein gefülltes Fass, von dem nach Belieben während des Wannenbads ein Bier gezapft werden darf.

Und tatsächlich macht die hopfige Duftnote des wohlig warmen Wassers fast unweigerlich Durst. Vielleicht liegt es daran, dass die Badezeit auf 20 Minuten begrenzt ist und mancher etwas Zeitdruck verspürt. Auf jeden Fall aber strömt beim Bierspa munter das Bier — erst ins Glas und dann die Kehle hinunter. Dabei entspannt es nicht nur die Muskeln, sondern lockert auch die Zunge. Entsprechend schnattern die Badegäste fröhlich aufgeregt vor sich hin. Entspannterer Biergenuss geht wohl kaum …


Ein traditionelles Rezept finden Sie hier.

Text & Fotos: Karsten-Thilo Raab

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