In Österreich, genauer gesagt in Tirol, erstreckt sich über rund 20 Kilometer die bekannteste Gebirgsgruppe der Ostalpen, das Kaisergebirge. Es besteht aus zwei markanten Zügen, dem Wilden Kaiser und dem Zahmen Kaiser. Auf der Südseite, am Wilden Kaiser, bieten die vier Orte Going, Ellmau, Scheffau und Söll authentisches Slow Tourism und gelebte Tradition.
Was haben Amor, der römische Liebesgott, und Weinbergschnecken gemeinsam? Genau, beide verschießen Pfeile. Während Amor aber seine „Opfer“ zielsicher ins Herz trifft, um somit das Feuer zu erwecken, spielt der Liebespfeil der Schnecken eine wichtige Rolle bei der Paarung und es kann durchaus mal zu Verletzungen kommen. Skurrile Fakten wie diese und andere interessante Stories erzählt Simone Embacher, kurz bevor sie die Weichtiere frittiert und serviert. Aber dazu später mehr.

Ein ganzjähriges Erlebnis
Das Kaisergebirge im österreichischen Tirol ist trotz seiner SkiWelt Brixental, eines der größten und modernsten Skigebiete weltweit, keinesfalls nur ein Winter-Highlight. Auch im Sommer glänzt das beindruckende Bergmassiv mit abwechslungsreichen Aktivitäten. Seine 40 Gipfel locken jährlich sowohl Bergsteiger als auch Wanderer an. Hier fand sogar die Entwicklung von Kletterausrüstung ihren Ursprung. Unberührte Natur, frische Luft und freundliche Gastgeber: ein Besuch der vier Kaiserorte Ellmau, Going, Scheffau und Söll bietet alles, was das Herz begehrt. Sanfte Mobilität und Nachhaltigkeit werden hier noch größer geschrieben als sonst wo. Die Gegend lässt sich sehr einfach mit dem Fahrrad erkunden, mit einem E-Bike noch einfacher.
Moorgebiete aus der Eiszeit
„Wusstet ihr, dass alle Tiere, die in den Moorgebieten leben, als ‚Spezialisten‘ gelten, da die Moore für die meisten ‚zu sauer‘ zum Überleben sind?“, erklärt Silvana Beer, Moorführerin im Ramsar-Schutzgebiet, das sich über die Gemeinden Kufstein, Scheffau, Ellmau, Going, St. Johann und Kirchdorf erstreckt. Natur pur inklusive Waldbad. Ungewöhnlicherweise wird man auf der Moor-Tour gebeten, die festen Wanderschuhe auszuziehen und das Feuchtgebiet mit all seinen Sinnen zu erkunden. Insgesamt bildet die Region Wilder Kaiser mit dem Naturschutzgebiet Kaisergebirge und dem Ramsar-Schutzgebiet einen idealen Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen.

Tirols erste Schneckenfarm
2018 hat Simone angefangen, Weinbergschnecken zu züchten. „Mit mehr als 50.000 Tieren habe ich vermutlich die größte Farm in ganz Tirol“, behauptet sie schmunzelnd. Der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit für die Tiroler Gastronomie brachte den Stein ins Rollen. Umliegende Restaurants und Supermärkte versorgen die Farm mit Futter in Form von übriggebliebenen Lebensmitteln, meistens Salat oder Gemüse. Die „Kaiserschnecken“ werden dann selbst wieder an die Restaurants geliefert. Eine perfekte Kreislaufwirtschaft. In Österreich sind Schnecken keine Delikatesse, die exklusiv in der gehobenen Gastronomie angeboten werden, sondern ein „altes Lebensmittel“, das gerne auch mal zu Hause zubereitet wird. Sie sind gesund, kalorienarm und reich an Nährstoffen. Hier lohnt sich ein Besuch mit Kostprobe in atemberaubender Kulisse mit Blick auf den Wilden Kaiser und einem Gläschen Wein.


Für Skeptiker: Ich selbst, der noch nie zuvor eine Schnecke gegessen hatte, und das eigentlich auch nicht vorhatte, war positiv überrascht und kann die Verkostung wärmstens empfehlen. Übrigens, falls es tatsächlich jemanden interessieren sollte: Auf dem Weg zur Farm kommt man am Hinterschnabel-Hof vorbei, dem Drehort der Praxis von Dr. Martin Gruber, besser bekannt als „Der Bergdoktor“ aus der gleichnamigen ZDF-Serie.
Ein etwas anderer Hof
Seit 2014 betreiben Maria Schmidt und ihr Mann Harald Stoiber in Going einen einzigartigen Bauernhof – einen sogenannten Naturschutzhof. Der Fokus liegt hier auf Biodiversität: Es werden nicht nur bestehende Lebensräume bewahrt, sondern auch neue geschaffen, um eine möglichst hohe Artenvielfalt zu fördern. Für Wildbienen und heimische Schmetterlinge gibt es Blühwiesen, die erst spät im Jahr gemäht werden. Über 1.000 speziell für Vögel angelegte Wildhecken bieten zusätzlichen Schutz. Zudem dient der Hof als „Seniorenresidenz“ für Tiere, die zu alt oder nicht mehr wirtschaftlich nutzbar sind und hier einen entspannten Lebensabend genießen dürfen. Der Naturschutzhof Artenreich von Maria Schmidt verkörpert perfekt die nachhaltige Philosophie der Region Wilder Kaiser.



Kulinarische Vielfalt
Wer jetzt nur an Kaiserschmarrn oder Tiroler Speckknödel denkt, liegt voll daneben. Ob Käse, Fleisch oder Schnaps: „Regional“ lautet hier die Devise. Nach einer wunderschönen Wanderung kann man auf der auf 1.600 Metern gelegenen Au Hochalm ein köstliches Frühstück genießen. Hier bietet Johanna Horngacher ihren Gästen nur das Beste. Im Jägerwirt in Scheffau trifft gehobene Gastronomie auf traditionelle Kost. Von Rehrücken mit Preiselbeer-Schokoladen-Rotkraut bis zu original Brixentaler „Brinzn“ Kasspatzl ist für jeden etwas dabei. Hier hat sogar Tina Turner schon gespeist. Natürlich dürfen Simones Kaiserschnecken in zahlreichen Variationen auf fast keiner Karte fehlen. Ob Gipfelstürmer oder Feinschmecker, Naturentdecker oder Genießer – die Region Wilder Kaiser bietet für jeden das passende Erlebnis. Hier verbinden sich Tradition, Genuss und Abenteuer in einzigartiger Weise.
Unbedingt
An warmen Sommertagen lohnt sich ein Abstecher zu einem der vier Badeseen der Region. Der Hintersteiner See ist der höchstgelegene unter ihnen und fasziniert mit einem atemberaubenden Panorama sowie seinem türkisfarbenen, allerdings recht kühlen Wasser – ideal zur Erfrischung nach einer langen Wanderung. Dank des „Seebus“ ist dieses Naturjuwel bequem und ohne großen Aufwand erreichbar.
Bloß nicht
Ausflüge ins Kaisergebirge sollten nicht unterschätzt werden. Anspruchsvolle Touren führen häufig über Abschnitte mit Seilversicherungen oder beinhalten leichtere Kletterpassagen. Viele Steige am Wilden Kaiser setzen nicht nur technisches Können, sondern auch alpine Erfahrung und eine hervorragende Kondition voraus. Wanderer mit wenig Bergerfahrung sollten sich gründlich informieren und leichtere Routen wählen.
Geheimtipp
Ein Besuch der zahlreichen Biohöfe ist absolut empfehlenswert. Auf dem Pfitscherhof in Ellmau heißen Anett und Thomas Niedermühlbichler ihre Gäste mit frischer, unbehandelter Biomilch willkommen und erklären, warum alle Kühe hier ihre Hörner behalten dürfen. Diese erfüllen nicht nur die Funktion einer natürlichen „Klimaanlage“ für die Kühe, sondern helfen auch dabei, Giftstoffe zu bündeln, was die Qualität der Milch verbessert.
Fotos: Marc Dostert