Prof. Dr. Michael Heneka ist seit 2022 Direktor des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) an der Universität Luxemburg. Vor seiner Ernennung am LCSB war Prof. Heneka Direktor der Universitätsklinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie und Arbeitsgruppenleiter am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Mit seiner umfangreichen Erfahrung hat sich Prof. Heneka als führender Experte auf dem Gebiet neurodegenerativer Erkrankungen etabliert. In unserem Interview gibt er Einblicke in den aktuellen Stand der Forschung zu dem Zusammenhang und den Auswirkungen unserer Ernährung auf diese Krankheiten.
Was genau versteht man unter einer neurodegenerativen Krankheit?
Eine neurodegenerative Krankheit ist dadurch charakterisiert, dass sie selektive Bereiche im Gehirn betrifft, in denen Nervenzellen absterben. Dies führt zu Symptomen, die das Bewegungssystem, die kognitive Funktion, die Gedächtnisbildung sowie das Verhalten beeinflussen können. (Die bekanntesten Beispiele sind Parkinson, Alzheimer und die Huntington-Krankheit. – Anm. d. Red.)
Welche Rolle spielt unsere Ernährung bei der Entwicklung solcher Krankheiten?
Die Datenlage ist hier bei der Alzheimer Krankheit am besten. Es zeigt sich, dass bestimmte Ernährungsformen einen moderaten Schutz vor der Erkrankung bieten. Ein moderater Schutz bedeutet, dass das Risiko verringert wird, wenn auch die Krankheit nicht vollständig verhin- dert werden kann. Es ist möglich, den Ausbruch und den Verlauf der Erkrankung zu verzögern oder das Risiko, überhaupt zu erkranken, zu mindern.
Wie sähe eine solche Ernährungsform konkret aus?
Wir wissen aus unterschiedlichen Studien, dass eine sogenannte mediterrane Ernährung* einen Schutz vermitteln kann. Studien in den USA haben den Ausbruch von Alzheimer bei Menschen untersucht, die aus dem Mittelmeerraum immigriert sind. Diejenigen, die ihrer traditionellen Ernährung treu geblieben sind, hatten eine signifikant geringere Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken, als jene, die sich an die Essgewohnheiten der USA angepasst haben. Die Daten waren tatsächlich so gut, dass man dies auf zwei Hauptfaktoren hinunterbrechen konnte: den Konsum von Fisch und den moderaten Konsum von Rotwein. Es muss jedoch betont werden, dass übermäßiger Rotweinkonsum einen deutlich schädlichen Einfluss haben kann.
* Anm. d. Red. : In den 16 Mittelmeerstaaten gibt es natürlich unterschiedliche Essgewohnheiten. Dennoch bestehen einige deutliche Gemeinsamkeiten, insbesondere in der traditionellen Ernährung Griechenlands und Süditaliens. Die mediterrane Ernährung zeichnet sich vor allem durch ihren Reichtum an löslichen und unlöslichen Ballaststoffen sowie einen hohen Anteil an gesunden Fettsäuren aus. Hierzu zählt ein häufiger Konsum von Früchten, Gemüse, Hülsenfrüchten, Fisch und Olivenöl. Sie gilt derzeit als Idealmodell in der Ernährungsphysiologie.
Gibt es Ernährungsgewohnheiten oder bestimmte Lebens- mittel, die eine ungünstige Wirkung auf die Entwicklung neurodegenerativer Krankheiten haben können?
Es ist bestens bekannt, dass exzessiver Alkoholkonsum generell schädlich für das Nervensystem ist. Abgesehen von Alkohol gibt es jedoch keine spezifischen Lebensmittel oder Nährstoffe, von denen ich weiß, dass sie in Bezug auf Neurodegeneration bedenklich sind. Dies ist tatsächlich kaum erforscht. Was jedoch einen dramatischen Einfluss auf das Risiko von Alzheimer im Alter hat, sind Diabetes und Fettleibigkeit, die ja bekanntlich auch mit der Ernährung zusammenhängen. Das Gehirn ist nicht isoliert im Körper, sondern reagiert auf die Funktion anderer Organe. Durch Gefäßveränderungen, die durch Diabetes entstehen, können auch die kleinsten Gefäße im Gehirn beeinträchtigt werden, was die Versorgung von Nervenzellen mit wichtigen Nährstoffen einschränken kann. Das allein kann die Balance stören. Bei Übergewicht ist die Situation noch gravierender: Männer, die zwischen 40 und 45 Jahren an Fettleibigkeit leiden, haben drei Jahr- zehnte später ein bis zu 4-fach höheres Risiko, später an Alzheimer zu erkranken.

(Copyrigh Bild: ScienceRelations — LCSB)
Welche Rolle spielen andere Lebensstilfaktoren wie Bewegung und Schlaf im Verhältnis zur Ernährung?
Die tägliche oder regelmäßige körperliche Betätigung ist der wahrscheinlich stärkste Faktor, der vor einer neurodegenerativen Erkrankung schützen kann. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass vor allem regelmäßiger Ausdauersport einen starken Schutz vor derartigen Erkrankungen gewährleistet. Man kann also dem Krankheitsrisiko wortwörtlich davonlaufen. Selbst wenn man bereits an Alzheimer erkrankt ist, hat körperliche Betätigung noch einen schützenden und stabilisierenden Einfluss. Schlaf ist ebenfalls wichtig, denn während des Schlafes werden krankheitsvermittelnde Eiweiße aus dem Hirn abtransportiert. Eine effektive Vorbeugung entsteht aus meiner Sicht aber aus einer Kombination aus mediterraner Ernährung, ausreichend körperlicher Betätigung (optimal sind vier Stunden Ausdauersport pro Woche) und ausreichend Schlaf.
Welche Ratschläge können Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben und wo kann man sich weiterführend informieren?
Das Wichtigste, das es zu verstehen gilt, ist, dass keine dieser Erkrankungen in dem Alter beginnt, in dem die Symptome auftreten, sondern bereits viel früher. Es reicht also nicht, wenn man mit 75 bemerkt, dass erste Gedächtnisprobleme auftauchen, auf eine mediterrane Diät umzusteigen. Man sollte spätestens ab der Lebensmitte die richtigen Vorkehrungen tref- fen, denn dann sind sie am wirksamsten. Für weiter- führende Bildung hätte ich früher gesagt, beim Haus- arzt oder bei Vorträgen, mittlerweile findet man im Internet aber auch seriöse Quellen. Beispielsweise die Webseiten von Fachverbänden wie der amerikani- schen Alzheimergesellschaft (alz.org) oder Alzheimer Europe (alzheimer-europe.org).
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