Promenade des Anglais, Mittelmeer, strahlender Sonnenschein im Sommer wie im Winter: Das ist Nizza. Die italienisch anmutende Stadt im Süden Frankreichs verführt mit einer reichen kulinarischen Kultur, die auf ihrer Geschichte und hochwertigen Terroir-Produkten beruht. Die Gastronomie, das wird schnell klar, hat hier einen ganz besonderen Stellenwert.
Wie wäre es mit einem Gourmet-Aufenthalt in Nizza? Natürlich bleibt auch noch Zeit für den Strand, die berühmte Promenade des Anglais, kulturelle Hochburgen (wie das Matisse- und das Chagall-Museum) und charmante Hotels. Immerhin ist „Nissa la Bella“ seit dem 19. Jahrhundert eine unangefochtene Größe des Städte- und Badetourismus. Die gastronomische Dimension ist jedoch das Sahnehäubchen, das diese Reise zu einem echten Leckerbissen macht.

Socca — eine wahre Institution
Wenn die Nizzaer eines meistern, dann die Kunst des guten Essens. Die Marktstände auf dem berühmten Cours Saleya sprechen Bände über die Vielfalt des lokalen Terroirs: Feldsalat aus Mandelieu, Chayoten aus Villefranche-sur-Mer, Zitrusfrüchte aus Menton, Gemüse aus der Var-Ebene … So viele Aromen, die hier und in den zahlreichen Restaurants der Stadt angeboten werden. Ein ganz besonderes Schmankerl ist gleich hier auf dem Markt zu haben. Am Stand „Chez Theresa“ stehen die Kunden zur Mittagszeit Schlange. Seit knapp 100 Jahren serviert dieser zur Institution gewordene Stand Socca, einen Fladen „aus Kichererbsenmehl, Olivenöl, Wasser, Salz und Pfeffer“, erklärt Inhaberin Sophie. Dort gibt es zudem weitere lokale Spezialitäten zu kaufen: Pissaladière (Zwiebelkuchen), Petits farcis niçois (gefülltes Gemüse) und Tourtes sucrées de blettes (süße Mangold-Küchlein).

Der wahre Nizza-Salat
Um mehr zu erfahren, geht es Richtung Vieux-Nice ins Kulinarik-Atelier Les Petits Farcis. Hier steht Rosa Jackson am Herd, eine Kanadierin mit einer unbeschreiblichen Liebe für die Stadt und ihre kulinarischen Traditionen. Den Teilnehmern ihrer Workshops bringt sie bei, Socca zuzubereiten. Das Gericht, das ursprünglich für Arbeiter gedacht war, ist zwar recht schlicht, die Zubereitung braucht jedoch ihre Zeit. Und so wird hier der Socca-Teig geknetet, ohne dabei die Zwiebeln für die Pissaladière aus den Augen zu verlieren. Die Letzteren werden mit Thymian, zwei Lorbeerblättern, einigen schwarzen Oliven und Pissalat (Sardellencreme) gewürzt, ehe alles in den Ofen kommt. Und auch beim berühmten Nizza-Salat wird Wert auf Authentizität gelegt: „Tomaten, kleine rohe Artischocken, Paprika, Radieschen, Thunfisch in Öl, Lauchzwiebeln, Oliven, Sardellen, ein gevierteltes gekochtes Ei. Aber niemals Kartoffeln, Bohnen oder Reis!“, erklärt Rosa und fügt hinzu, dass dieser Salat typischerweise im Winter zubereitet wird.

Gütesiegel „Cuisine Nissarde“
Wer Vieux-Nice sagt, sagt auch Kulturerbe. Am Fuße des Schlosshügels entführt uns unser Feinschmecker-Spaziergang in ein Wirrwarr charmanter Gässchen, die von ockerfarbenen Gebäuden mit Jalousien und Kirchen mit barocken Giebeln gesäumt werden. Das Herz dieser Stadt mit italienischem Flair erinnert daran, das Nizza, nachdem es lange Zeit zum Königreich Sardinien gehörte, erst 1860 Frankreich eingegliedert wurde. In diesem Labyrinth kehren wir in der Rue Droite im Chez Acchiardo ein, das für seine „Cuisine Nissarde“ (Nizzaer Küche) bekannt ist. Auf der Speisekarte des bald 100 Jahre alten Familienrestaurants stehen Nizzaer Ravioli, Pestosuppe, Gnocchis, Daube (Ragout) und Pannacotta … Wir halten auch in der Rue Gilly im Fournil Zielinska an, wo es köstliches Brot mit alten Mehlsorten zu kaufen gibt. Zum Abendessen reservieren wir in der Bar aux Oiseaux, Rue Saint-Vincent, wo Joackim Salliot, ein ehemaliger Sternekoch aus der Normandie, Meereserzeugnisse in köstliche Gerichte verwandelt — allen voran die Bourride (Fisch-Ragout). Unterwegs erhaschen wir einen Blick auf den Couvent de la Visitation. Nach jahrelangen Arbeiten eröffnet in diesem ehemaligen Kloster im Juni ein 5-Sterne-Hotel.

Kandierte Früchte, Olivenöl, lokale Weine
Die Schatzsuche in den Nizzaer Stadtvierteln mit den eleganten Häusern aus dem 19. Jahrhundert geht weiter. Wir halten in der Konditorei Auer gegenüber der Oper in der Rue Saint-François de Paule. Seit 1820 stellt diese aus der Schweiz stammende Familie kandierte Früchte und Schokolade her. Gleiches gilt für die Familie Florian, deren Confiserie am Quai Papacino von mehr als einem Jahrhundert zuckrig-süßem Savoir-faire zeugt. Der Erfolg beider Unternehmen ist auf die reichhaltige Obstauswahl der Region zurückzuführen. Nahezu gegenüber der Pâtisserie Auer ist auch die Boutique Nicolas Alziari einen Besuch wert. Seit 1868 wird dort renommiertes Olivenöl hergestellt. Nebenan in der Rue Bosio erinnert der Weinkeller Cave Bianchi seit nunmehr 165 Jahren daran, dass Nizza auch eine Weinregion ist. Dort findet man den einzigen AOP-Wein Frankreichs, der auf einem Stadtgebiet angebaut wird: den Vin de Bellet. Neun Winzer teilen sich einen 70 Hektar großen Weinberg oberhalb der Stadt. Bei einem Besuch des Weinguts Château de Crémat, das über Nizza thront, lässt sich mehr über das Terroir und diese lagerfähigen Weine erfahren. Wo, wenn nicht dort, würde man besser verstehen, dass Nizza zwar den Luxus liebt, aber auch eine volkstümliche Stadt ist, deren schlichte, schmackhafte Küche das Ergebnis einer doppelten, provenzalischen und transalpinen, Identität ist?



Foto und Text: Philippe Bourget