In Serbien entschleunigen und zwar in mittelalterlichen Klöstern, fast unberührter Natur und bei abwechslungsreicher Küche …
Das größte Land des ehemaligen Jugoslawiens liegt ganz im Zentrum des Balkans — und im touristischen Schatten der Küstenstaaten Kroatien und Montenegro. Verstecken muss es sich nicht: Denn die lebendige Hauptstadt Belgrad, stille Klöster und UNESCO-Weltkulturerbestätte, Schluchten und Berge und nicht zuletzt Küche und Wein sorgen für eindrucksvolle Erlebnisse im Land zwischen Orient und Okzident.
Wer in Belgrad ausgeht, muss sich erst einmal an den Geruch in den Kneipen und Restaurants gewöhnen, zumindest bis das Rauchverbot auch in der Gastronomie angekommen ist. Dort riecht es teilweise noch nach Zigarettenqualm. Im Restaurant Iva von Vanja PuÅ¡kar, der ebenfalls CEO der Organisation „New Balkan Cuisine“ ist, gehen die Gäste allerdings zum Rauchen vor die Tür. Der leidenschaftliche Gastronom ist überzeugt: „Die lokalen Zutaten kombiniert mit modernen, kulinarischen Techniken sind die Zukunft unseres Landes.“ Seine Waren bezieht er von kleinen Produzenten, die seine Vision teilen: „Wenn man die Erzeuger kennt, kann man ihre Energie und Liebe für ihre Produkte auf die Teller der Gäste zaubern.“ Die Kajmak, ein Milchprodukt aus geronnener und gesalzener Sahne, schmeckt cremig und passt perfekt zum Proja, dem typischen Maisbrot.

Ein Mix der Kulturen
Ähnlich ambitioniert, Serbien voranzubringen, ist der Sommelier Vuk Vuletić im Podrum Wineart. „Meine Gäste bekommen bei mir Wein, den sie vorher noch nie getrunken haben“, prophezeit er stolz. „Vor fünf Jahren tranken die Serben durchschnittlich rund drei Liter Wein pro Kopf und Jahr.“ Heute seien es bereits über acht Liter. Von weitem ist die Festung zu sehen, die am Ende der Belgrader Altstadt zwischen den Flüssen Save und Donau liegt. Die Verteidigungsanlage wurde im ersten Jahrhundert errichtet. Die weiße Stadt, wie die Hauptstadt auch genannt wird, ist geprägt durch Zerstörungen und den darauffolgenden Wiederaufbau. Geblieben ist ein Häuser-Mix: Überreste des osmanischen Reiches beherrschen ebenso wie neoklassizistische Bauten und Jugendstilvillen das heutige Erscheinungsbild. Im Stadtteil VraÄar steht der Dom des Heiligen Sava, die größte orthodoxe Kirche auf dem Balkan. Ihr Stil erinnert an die Hagia Sophia in Istanbul, mit den Materialien davor als Sinnbild für die nicht enden wollenden Bauarbeiten. Belgrad ist eine Kulisse, die gegensätzlicher nicht sein könnte — so wie die Umgebung von Belgrad und das ganze Land.

Klöster und Kirchen prägen das Landschaftsbild in ganz Serbien.

Als „neue Hagia Sophia“ wird die Save-Kathedrale in Belgrad bezeichnet.
Südlich der Hauptstadt, knapp 100 Kilometer entfernt, liegt Topola. Die Kleinstadt umgeben von Weinbergen präsentiert beim Weinfest im Oktober ein ganz besonderes kulinarisches Angebot. Über der Straße, durch die sich die Menschen schieben, liegt dann der Geruch von gegrilltem Fleisch. Etwas exotisch ist der Anblick des Ochsen, der auf einem langen Spieß über dem Feuer gegart wird. Daneben drehen sich Spanferkel über der rotglühenden Holzkohle. In großen Tontöpfen köcheln Eintöpfe mit roter Paprika, Kohl und Zwiebeln. Es gibt Gewürze, Honig, Likör und Kunsthandwerk zu kaufen. Auf dem Hügel Oplenac liegt die Kirche St. Georg mit ihren großen und kleinen Kuppeln. Hier sind König Peter I. und weitere Mitglieder der Königsfamilie begraben. In der Ausstellung taucht man ein in die Geschichte der königlichen KaraÄ‘orÄ‘ević-Dynastie.

Weinbau mit Tradition
Ebenfalls eine gute Stunde von Belgrad entfernt, in nördlicher Richtung, liegt das kleine Mittelgebirge FruÅ¡ka Gora, das auch derheilige Berg der Serben genannt wird — „wegen der zahlreichen mittelalterlichen Klöster“, wie die Reiseführerin Ruzisca Ristic erklärt. „Die Region zeichnet ihre lange Tradition im Weinanbau aus.“ Während der Jahrhunderte dauernden Herrschaft der Türken trieben nur noch die Mönche der Klöster den Weinbau voran. Erst unter der Habsburger Monarchie blühten die Weinstöcke dann im wahrsten Sinne des Wotes wieder so richtig auf, wie beispielsweise rund ums Weingut Salaxia.
100 Kilometer, nordwestlich der Hauptstadt, glänzt Novi Sad — die sehenswerte Kulturhauptstadt 2021. Da es in Strömen regnet, verschwinden die riesige Festung und der Stadtteil Petrovaradin am anderen Flussufer fast im Nebel. Von der gegenüberliegenden Uferseite hat man sonst den besten Blick auf die Burg, deren Geschichte bis zur Steinzeit zurückreicht. Die neugotische Kirche Maria Namen und das Rathaus im Neorenaissancestil spiegeln sich in den Pfützen auf dem Freiheitsplatz in der Altstadt Stari Grad. Popcornbuden und bunte Getränkestände reihen sich an trendige Shops serbischer Labels wie IVKO — ein Designerladen, der alte Muster neu interpretiert. Etwas runtergekommen, aber mit einem gewissen Shabby Chic verbunden, präsentiert sich das Chinesische Viertel in der Nähe des Donauhafens. Es beherbergt Underground Bars, Garagenhallen, die als Konzerthallen genutzt werden, und ist das neue kreative Zentrum der Universitätsstadt. Einmal im Jahr wird Novi Sad zur ganz großen Bühne, und zwar beim Exit Festival, bei dem mehrere Tage Rockmusik durch die Gassen wummert.

Mit dem Boot durch die Schlucht
150 Kilometer südlich von Belgrad liegt die OvÄar-Kablar-Schlucht — zwei Berge und ein Fluss. Die Zapadna Morava trennt die Bergmassive OvÄar und Kablar. Ihr Wasser mäandert durch die Landschaft. Bevor es ins Boot von Ranger Milan Caprilovic geht, kann man die eigene Schwindelfreiheit testen — und zwar auf der Hängebrücke zwischen den beiden Massiven. Der schmale, hölzerne Boden schwankt bei jedem Schritt. Durch die Löcher zwischen den Planken erkennt man die träge fließende Morava. Zurück in Belgrad und im Park vor der alten Burganlage, einem beliebten Fotospot, kann man abends den Sonnenuntergang erleben. Dann bekommen die Flüsse Donau und Save einen rötlichen Schimmer. Danach trifft man sich in den Restaurants und Bars oder in einer der Bauernschenken im Viertel ToÅ¡in Bunar, wo sich die schnellen Töne der Musik mit der rauchgeschwängerten Luft vermischen. Bei ĆevapÄići (Hackfleisch), KaraÄ‘orÄ‘eva Å¡nicla (gerollte, mit Käse gefüllte und frittierte Schnitzel) und gemischter Grillplatte mit Pommes amüsieren sich die Gäste bis in die frühen Morgenstunden. Bei einem Glas Rakija, dem klaren Obstbrand, kommt man leicht mit den gastfreundlichen Tischnachbarn ins Gespräch — es stört kaum, dass nicht alle die gleiche Sprache sprechen. Belgrad — wir kommen wieder.
Text: Annette Frühauf / Fotos: Luxe Taste & Style