Ungeachtet der noch immer gegenwärtigen, verkrusteten Spuren der industriellen Vergangenheit hat das englische Manchester weit mehr als nur Fußball zu bieten.
Text & Fotos von Karsten-Thilo Raab
Ein traditionelles Rezept finden Sie hier.
Bei der bloßen Erwähnung des Namens Manchester denken viele automatisch an „König Fußball“. In der Tat beheimatet das einstige Zentrum der britischen Textilindustrie mit Manchester United und Manchester City gleich zwei europäische Spitzenclubs. Insbesondere Letzterer gilt als amtierender englischer Meister und Pokalsieger sowie Champions-League-Sieger als die wohl aktuell beste Vereinsmannschaft des Kontinents, vielleicht sogar des Erdballs. Doch die 550.000-Seelen-Gemeinde im Nordwesten Englands hat weit mehr zu bieten als die Faszination für das Runde, das ins Eckige muss. Dabei kann und will Manchester seine industrielle Vergangenheit nicht verleugnen.
„Manchester hat einfach alles, bis auf einen Strand“, behaupten die „Mancunians“ oder „Mancs“, wie die Einwohner von Manchester liebevoll genannt werden, ebenso selbstbewusst wie stolz. Tatsächlich dürfte die britische Fußballkapitale zumindest mit Blick auf das überaus belebte Zentrum für viele eher zu einer Liebe auf den zweiten Blick avancieren. Gleichwohl lassen sich zwischen den Bausünden der 1960er- und 1970er-Jahre viele schmucke Perlen entdecken.



Als eine der unumstritten schönsten Ecken von Manchester gilt fraglos das Cathedral Quarter rund um die 600 Jahre alte Kathedrale. Hier finden sich prachtvolle Fachwerkhäuser, der ikonische Corn Exchange (die ehemalige Kornbörse), aber auch das ultramoderne National Football Museum. Das anglikanische Gotteshaus selber begeistert mit mittelalterlichen Schnitzereien sowie bunten Fenstern mit Glasmalerei.
Zumindest optisch erinnert die neugotische John Riley Library ebenfalls an eine Kirche. Die famose Bibliothek ist ein absolutes Kleinod mit mehr als 500 thematischen Kollektionen und voller literarischer Schätze wie dem ältesten Teil des Neuen Testaments sowie einer frühen Ausgabe der 1392 von Geoffrey Chaucer verfassten „Canterbury Tales“.
Direkt gegenüber der prachtvollen Bücherei hat Manchester dem großen Musiker und Komponisten Fryderyk Chopin im wahrsten Sinne des Wortes ein Denkmal gesetzt. Und dies, obwohl das polnische Musikgenie der Industriemetropole Zeit seines Lebens nur einen Kurzbesuch abgestattet hatte. Von einer schweren Krankheit gezeichnet, gab Chopin im August 1848 in der Gentlemen’s Concert Hall vor 1.200 Besuchern ein gefeiertes Konzert, das bis heute nachhallt und den Klaviervirtuosen unvergessen machte.

Faszinierende Zeitreise in Castlefield
Ein absolutes Muss ist daneben ein Abstecher in den Stadtteil Castlefield. Dieser ist geprägt von engen Kanälen, auf denen lange, schmale Hausboote, die sogenannten narrow boats, gemütlich hin und her tuckern. An den Ufern der Wasserwege erheben sich zahllose uralte Gebäude aus rotem Backstein. Längst sind die einstigen Industrieanlagen und Fabrikgebäude zu modernen Lofts umgestaltet worden. Dazwischen ducken sich charmante Pubs mit einladenden Biergärten.
Ein offener Geheimtipp ist das 330 Meter lange und 17 Meter hohe Castlefield Viaduct, das im Jahre 1892 errichtet wurde. Mit dem Niedergang der Industrie in Manchester wurde die einstige Bahntrasse schließlich 1969 stillgelegt und die Schienen entfernt. Seither ist das historische Eisenbahnviadukt unweit des Bridgewater Kanals komplett der Natur überlassen worden.


Nur einen Steinwurf entfernt befindet sich im ältesten noch erhaltenen Bahnhof der Welt, der Liverpool Road Station, das Museum of Science & Industry. Das MOSI bietet einen Einblick in die Technik- und Industriegeschichte sowie in die bewegte Historie von Manchester. So lässt sich eine der weltweit größten Sammlungen funktionsfähiger Dampfmaschinen in Augenschein nehmen. Zudem zeigt das Museum bei freiem Eintritt neben historischen Webstühlen zahlreiche Oldtimer und Flugzeuge aus längst vergangenen Zeiten.
Wesentlich älter sind die fast 2.000 Jahre alten Reste einer Befestigungsanlage und eines Forts aus römischer Zeit, die zwischen dem Museum und dem Castlefield Viaduct gerne übersehen werden.
Im jähen Kontrast dazu steht das erst vor wenigen Jahren aus dem Boden gestampfte Viertel MediaCity UK in Salford. In dem riesigen Areal am Manchester Ship Canal und dem ehemaligen Hafen haben sich mit der BBC und ITV die größten Sendeanstalten des Landes mit einer Vielzahl von Studios in riesigen Glas-Stahl-Palästen angesiedelt. Im Umfeld entstanden neue Apartmentblocks mit teuren (Luxus-)Wohnungen, Restaurants sowie das ikonische Gebäude des Imperial War Museums. Letzteres wurde nach Plänen des renommierten Architekten Daniel Liebeskind errichtet und erzählt multimedial die Geschichte der Kriege, in denen das Vereinigte Königreich im Laufe seiner Geschichte verstrickt war.
Auf den Spuren der Erfolgsmannschaft
Ganz andere Schlachten werden seit dem Jahre 2002 im Etihad Stadium geschlagen. Die Heimspielstätte von Manchester City ist längst zu einem Mekka für Fußballfans avanciert, obschon die 54.000 Zuschauer fassende Arena auf dem ehemaligen Gelände eines Bergwerks im Osten der Stadt ursprünglich für die Leichtathletik-Wettbewerbe bei den Commonwealth Games 2002 errichtet worden war. Bis 2025 soll das Fassungsvermögen um weitere 7.000 aufgestockt werden. Rund 300 Millionen britische Pfund (etwa 347 Millionen Euro) sollen dazu in den Ausbau des Stadions, den Bau eines eigenen Hotels mit 400 Betten sowie in ein Museum für den Club gepumpt werden.
Unabhängig davon lohnt sich schon jetzt — nicht nur für eingefleischte Fußballfans — eine Stadiontour. Dabei kann nicht nur ein Blick auf das weite Rund mit dem durch 20 Millionen Kunstfasern angereicherten Rasen geworfen werden. Der Rundgang führt auch in das Heiligste des Stadions: Die ungewöhnliche, kreisrunde Umkleidekabine der Citizens. Zudem geht es durch den Spielertunnel, die Mixed-Media-Zone zu dem Sitzplatz, den die verstorbene Queen Elizabeth II. am 25. Juli 2002 bei der feierlichen Eröffnung des Stadions einnahm. Ein besonderer Moment ist schließlich der Besuch des Presseraums, wo sich Interessierte bei einer virtuellen Pressekonferenz neben Pep Guardiola platzieren und sich mit dem Starcoach ablichten lassen können.

Neben König Fußball regiert in Manchester eine lebendige Kultur- und Musikszene. Vor allem im trendigen Northern Quarter finden sich zahllose Cocktailbars, Jazzclubs und Musikkneipen. Ein ewig junger Klassiker für Freunde der Livemusik ist das „Night & Day“ in der Oldham Street. Nicht weniger populär ist das „Band on the Wall“ in der Swan Street, wo fast allabendlich ein Gig geboten wird.
Fast schon ein Muss ist der Besuch des „Cloud 23″, wo sich auch der Kreis schließt. Denn von der stylischen Bar im 23. Stock des imposanten, 169 Meter hohen Beetham Towers können die Gäste einen herrlichen Panoramablick genießen. Wobei Castlefield und das Viadukt dem Glas-Stahl-Riesen bildlich gesprochen zu Füßen liegen. Quasi im wahrsten Sinne des Wortes ein Hochgenuss in Manchester …