{"id":138133,"date":"2025-03-30T07:44:33","date_gmt":"2025-03-30T05:44:33","guid":{"rendered":"https:\/\/vanguards.eu\/archives\/138133"},"modified":"2025-03-31T10:33:43","modified_gmt":"2025-03-31T08:33:43","slug":"diese-bucht-ist-eine-wucht","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/vanguards.eu\/shop\/de\/2025\/03\/30\/diese-bucht-ist-eine-wucht\/","title":{"rendered":"DIESE BUCHT IST EINE WUCHT"},"content":{"rendered":"\n
Schnell und stetig rauscht das Wasser in die Bucht. Von den Befestigungsmauern des Mont Saint-Michel aus schauen Besucher zu, wie die Flutwelle vorr\u00fcckt, schlie\u00dflich die Br\u00fccke untersp\u00fclt und den Platz am Fu\u00df des Bergs schrumpfen l\u00e4sst. Still und fast ehrf\u00fcrchtig stehen die Menschen oben. Das Naturph\u00e4nomen wirkt heute wom\u00f6glich \u00e4hnlich beeindruckend wie einstmals der Anblick des Pilgerziels nach langer und gefahrenreicher Wanderschaft, auf der letzten Etappe durch S\u00fcmpfe, Schlick und Treibsand. Unten \u00fcberlegen Unentschlossene, ob sie zum Kloster oder zur Br\u00fccke ausweichen. Schon steht das Wasser kn\u00f6chelhoch, die einen laufen nach links, die anderen nach rechts. Die Br\u00fccke, die Festland und Berg seit 2014 anstelle des Damms aus dem 19. Jahrhundert miteinander verbindet, endet nun im Wasser. Der Mont Saint-Michel ist eine Insel \u2014 f\u00fcr eine Stunde.\u00a0<\/p>\n\n\n\n
Dass das seit 2014 mehrmals im Jahr wieder der Fall ist, ist das Ergebnis eines Projekts herkulischer Ausma\u00dfe. Zuvor war die Bucht so stark versandet, dass die Klosterinsel zu verlanden drohte. Mitte der 1990er<\/sup> Jahre wurde das 184 Millionen Euro teure Vorhaben zur \u201eWiederherstellung des maritimen Charakters“ des Bergs geplant und 2006 von Staat und Region auf den Weg gebracht. Der Damm nebst Parkplatz, der neben der Trockenlegung von K\u00fcstengebieten und der Kanalisierung des Couesnon zur Versandung der Bucht gef\u00fchrt hatte, wurde abgetragen, Schlamm aus der Bucht gebaggert und vor die M\u00fcndung des Couesnon eine Stauanlage gesetzt. Der Gezeitendamm l\u00e4sst bei Flut zur\u00fcckgehaltenes Meereswasser mit Druck ab und fegt so Sand und Sedimente aus der Bucht. Heute ist der Berg \u00fcber die elegante, 760 Meter lange Stelzenbr\u00fccke zu erreichen \u2014 zu Fu\u00df, per Shuttle-Bus oder mit der Pferdekutsche. Und gelegentlich rauscht auch die Flut wieder in die Bucht.\u00a0<\/p>\n\n\n\n Mit einem Tidenhub von regelm\u00e4\u00dfig \u00fcber zw\u00f6lf Metern besitzen die Gezeiten in der Bucht des Mont Saint-Michel reichlich Dramatik. Nirgendwo sonst in Europa bewegt sich das Meer so dynamisch. Nach Voll- und Neumond, wenn der Gezeitenkoeffizient \u2014 ein Wert zwischen 20 und 120, der vor allem in Frankreich verwendet wird, um die Differenz zwischen Niedrig- und folgendem H\u00f6chstwasserstand zu bezeichnen \u2014 \u00fcber 90 liegt, wird die Flut besonders hoch. Sobald er 110 erreicht, ist der Berg zu Fu\u00df nicht mehr erreichbar. In diesem Herbst verspricht der Gezeitenkalender dieses Ph\u00e4nomen f\u00fcr Oktober und November.<\/p>\n\n\n\n Dann steigt eine Flut aus dem \u00c4rmelkanal auf, deren erste Welle den Mont Saint-Michel umsp\u00fclt und sich bis in den Couesnon schiebt. \u201eLe Mascaret“ hei\u00dft sie und sieht von den Wehrmauern und Aussichtspunkten des Klosterbergs durchaus harmlos aus. Hoch ist sie n\u00e4mlich nicht. Aber schnell. Flott tr\u00e4gt sie Kajaks, Jetski und Schlauchboote in die Bucht. Victor Hugo \u00fcbertrieb nicht, als er das Tempo der einlaufenden Flut mit dem eines Pferds im Galopp verglich. Wattl\u00e4ufer, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht haben, m\u00fcssen vor dem Wasser davonrennen. Immer wieder werden Wanderer aus der Luft vor den Fluten gerettet \u2014 trotz aller Warnungen, das Gel\u00e4nde nur in Begleitung eines Guides zu erkunden.<\/p>\n\n\n\n \u201eDie Bucht ist flach und trichterf\u00f6rmig, und das Wasser kommt mit Wucht von der s\u00fcdenglischen K\u00fcste zur\u00fcck“, erkl\u00e4rt Wattf\u00fchrer Fran\u00e7ois Lamotte d’Argy, als das Meer dreieinhalb Stunden sp\u00e4ter am Horizont verschwunden ist. Hinter ihm steigen die ersten Gruppen mit an die Rucks\u00e4cke gebundenen Schuhen barfu\u00df ins Watt. Ihre Masken, die auf dem Berg Pflicht sind, nehmen sie ab \u2014 Abstand zu halten ist in der Bucht leicht. <\/p>\n\n\n\n Auf dem linken Handr\u00fccken hat Fran\u00e7ois wie immer die Uhrzeiten von H\u00f6chst- und Tiefststand notiert. In flie\u00dfendem Deutsch begr\u00fc\u00dft der Sohn einer deutschen Mutter und eines normannischen Vaters seine G\u00e4ste aus Deutschland und der Schweiz. Der 42-J\u00e4hrige betreibt mit seiner Frau ein Hotel auf der gegen\u00fcberliegenden Seite der Bucht in Dragey-Ronthon und arbeitet als Wattf\u00fchrer. 200 Tage des Jahres verbringt er mit den F\u00fc\u00dfen im Wasser und zeigt Urlaubern die Natur in der Bucht und die Klosterfestung aus ungewohnten Perspektiven. \u201eDie Bucht ist f\u00fcr mich ein gro\u00dfer Spielplatz, aber sie ist auch erhebend f\u00fcr Geist und Seele“, sagt Fran\u00e7ois. Kein Wunder, wacht \u00fcber ihr doch eines der gro\u00dfen christlichen Pilgerziele. Auf Gehei\u00df des Erzengels Michael pers\u00f6nlich erbaute Bischof Aubert von Avranches im 8. Jahrhundert auf dem Felsen im Meer ein Kirchlein. Nach der \u00dcbernahme des Bergs durch Benediktinerm\u00f6nche entstand hier im 10. Jahrhundert die komplizierteste und teuerste Baustelle des Mittelalters. Der Granitstein, der f\u00fcr den Bau von Kirche und Kloster ben\u00f6tigt wurde, musste von den Chausey-Inseln mit Booten auf den einen Kilometer vor der K\u00fcste gelegenen Felsen transportiert und auf dem nach oben spitz zulaufenden Gel\u00e4nde buchst\u00e4blich in die H\u00f6he get\u00fcrmt werden. 500 Jahre dauerte es, bis die Meisterwerke der Romanik und Gotik vollendet waren.<\/p>\n\n\n\n Der Einstieg wird rutschig, warnt Fran\u00e7ois. Tats\u00e4chlich: Auf den ersten f\u00fcnfzig Metern erfordert es Konzentration, auf den Beinen zu bleiben. Der frisch freigelegte Meeresboden ist glatt wie Schmierseife. Doch bald wird der Grund verl\u00e4sslicher und es ist m\u00f6glich, sich umzusehen. Es lohnt sich: An der einen Seite Unendlichkeit, an der anderen der m\u00e4chtige Klosterfels und sein Spiegelbild im Schlick. Die schlanke, von der Bronzefigur des Erzengels Michael gekr\u00f6nte Spitze der Klosterkirche ragt in einen fahlen Himmel. Von den Besuchermassen, die die wichtigste Sehensw\u00fcrdigkeit Frankreichs au\u00dferhalb von Paris gew\u00f6hnlich heimsuchen, ist von hier aus nichts zu ahnen.\u00a0<\/p>\n\n\n\n Fran\u00e7ois identifiziert Stelzv\u00f6gel, Austernfischer, Stockenten, Regenpfeifer und Strandl\u00e4ufer und zeigt einen Fischadler am Himmel. Er weist seinem Gr\u00fcppchen den Weg durch den ersten der beiden Fl\u00fcsse, die bei Ebbe wie bei Flut in die Bucht flie\u00dfen. Er wei\u00df, wo eine Querung in Shorts m\u00f6glich ist. Allerdings macht die Str\u00f6mung das anspruchsvoll \u2014 der Fluss dr\u00e4ngt in Richtung des entschwundenen Meeres, und es ist nicht leicht, das Gleichgewicht zu halten. Jenseits des Flusses erscheint Tombelaine, die unbewohnte Nachbarinsel des Mont Saint-Michel. Einst wollte man hier ein Hotel bauen, heute ist sie ein Vogelschutzgebiet.<\/p>\n\n\n\n F\u00fcr seine deutschsprachigen G\u00e4ste macht Fran\u00e7ois eigens einen Sandwurm ausfindig. \u201eDeutsche interessieren sich immer f\u00fcr Sandw\u00fcrmer, das ist ein gro\u00dfes Thema an der Nordsee“, sagt er mit schalkhaftem L\u00e4cheln. \u201eWir nehmen das hier gar nicht so wahr.“ Ein zweiter, breiterer Fluss ist zu queren, Fran\u00e7ois sucht nach einer flachen Stelle und geht voran. Wieder ist die Str\u00f6mung stark, doch nach einigen beherzten Schritten durchs Wasser ist es geschafft. Weiter geht es \u00fcber eine Sandbank und dann durch angenehm temperiertes, kn\u00f6cheltiefes Wasser. Fran\u00e7ois erz\u00e4hlt, dass er immer wieder Wanderer aus der Bucht treibt, die zu sp\u00e4t oder alleine unterwegs sind. Erst gestern begegnete er einem Paar, das ins Meer hinauslief, als er mit seiner Gruppe schon auf dem R\u00fcckweg war. Es gelang ihm, die beiden zur Umkehr zu bewegen. Fran\u00e7ois sch\u00fcttelt den Kopf \u00fcber diesen Leichtsinn. <\/p>\n\n\n\n Fr\u00fcher brachte auch Treibsand Pilger oft schon in Sichtweite des Ziels in t\u00f6dliche Schwierigkeiten. Fran\u00e7ois kennt die Stellen, an denen der Boden weich wie Pudding ist, und demonstriert, wie schnell man einsinkt. Zum Gl\u00fcck wei\u00df er auch, wie man sich befreit: Er l\u00e4sst sich weit nach vorne fallen und dann in die Gegenrichtung. Mit einigen Schw\u00fcngen befreit er sich. Nach drei Stunden und sieben Kilometern liefert er seine Wanderer wieder am Klosterberg ab. Bis zu den Knien mit grauem Schlick bedeckt erreichen sie festen Grund.<\/p>\n\n\n\n Autor: Stefanie Bisping<\/em><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" Zur Tag- und Nachtgleiche steigt das Meer am Mont Saint-Michel in Rekordh\u00f6hen. Wenige Stunden sp\u00e4ter legt die Ebbe eine Wattlandschaft aus Sandb\u00e4nken, Flussl\u00e4ufen und Treibsand frei. Ein Spaziergang durch eine besonders bewegliche Bucht. Schnell und stetig rauscht das Wasser in die Bucht. Von den Befestigungsmauern des Mont Saint-Michel aus schauen Besucher zu, wie die Flutwelle […]<\/p>\n","protected":false},"author":34,"featured_media":149351,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_seopress_robots_primary_cat":"","_seopress_titles_title":"","_seopress_titles_desc":"","_seopress_robots_index":"","wprm-recipe-roundup-name":"","wprm-recipe-roundup-description":"","pmpro_default_level":"","footnotes":""},"categories":[3833,3850],"tags":[],"class_list":{"0":"post-138133","1":"post","2":"type-post","3":"status-publish","4":"format-standard","5":"has-post-thumbnail","7":"category-adventures","8":"category-europe","9":"pmpro-has-access"},"featured_media_global":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/vanguards.eu\/shop\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/138133","targetHints":{"allow":["GET"]}}],"collection":[{"href":"https:\/\/vanguards.eu\/shop\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/vanguards.eu\/shop\/de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/vanguards.eu\/shop\/de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/34"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/vanguards.eu\/shop\/de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=138133"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/vanguards.eu\/shop\/de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/138133\/revisions"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/vanguards.eu\/shop\/de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/149351"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/vanguards.eu\/shop\/de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=138133"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/vanguards.eu\/shop\/de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=138133"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/vanguards.eu\/shop\/de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=138133"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}
<\/figure><\/li>
<\/figure><\/li>
<\/figure><\/li><\/ul><\/figure>\n\n\n\n
<\/figure><\/li>
<\/figure><\/li><\/ul><\/figure>\n\n\n\n
<\/figure><\/li><\/ul><\/figure>\n\n\n\n